Wie handelt man richtig, wenn das moralische »Richtig« dem gesetzlichen »Richtig« widerspricht?
Wie reagiert man auf Missachtungen der Menschenrechte durch höchste Regierungsinstanzen? Wie können wir urteilen über die, in deren Haut wir nicht stecken? Mit diesen Fragen, die Hannah Arendt bereits vor über 50 Jahren beschäftigten, werden wir heute wieder verstärkt konfrontiert. Damals wie heute gilt: Persönliche Verantwortung muss sich von politischer Verantwortung unterscheiden. In Arendts klarer und bestechender Sprache gibt dieser wiederentdeckte Aufsatz Antworten auf die häufigsten Fragen unserer Zeit.
Die einen handelten aus Überzeugung, andere hielten es für ihre Pflicht, zu tun, was verlangt wird, und wieder andere schwiegen oder handelten »unverantwortlich« und zogen sich ins Private zurück. Indem Arendt das Verhalten der Menschen unter diktatorischer Herrschaft untersucht, stellt sie noch heute höchst aktuelle Fragen: Was heißt persönliche Verantwortung in Zeiten, in denen bürgerliche Freiheitsrechte eingeschränkt werden? Was hat es trotz der vielen, mitunter lautstark geäußerten Meinungen, mit der allgemeinen Furcht zu urteilen, auf sich? Wohin führt das Argument des »kleineren Übels«? Und das des Sachzwangs?
»Die Trennungslinie zwischen denen, die denken wollen und deshalb für sich selbst urteilen müssen, und denen, die sich kein Urteil bilden, verläuft quer zu allen sozialen Unterschieden, quer zu allen Unterschieden in Kultur und Bildung. In dieser Hinsicht kann uns der totale moralische Zusammenbruch der ehrenwerten Gesellschaft während des Hitlerregimes lehren, dass es sich bei denen, auf die unter solchen Umständen Verlass ist, nicht um jene handelt, denen Werte lieb und teuer sind und die an moralischen Normen und Maßstäben festhalten; man weiß jetzt, dass sich all dies über Nacht ändern kann, und was davon übrig bleibt, ist die Gewohnheit, an irgendetwas festzuhalten.
Viel verlässlicher werden die Zweifler und Skeptiker sein, nicht etwa, weil Skeptizismus gut und Zweifel heilsam ist, sondern weil diese Menschen es gewohnt sind, Dinge zu überprüfen und sich ihre eigene Meinung zu bilden.
Am allerbesten werden jene sein, die wenigstens eins genau wissen: dass wir, solange wir leben, dazu verdammt sind, mit uns selbst zusammenzuleben, was immer auch geschehen mag.«
Hannah Arendt